Kunststoffabfall wird der neue Rohstoff

• Auch in anderen Weltregionen wird über Kreislaufwirtschaft nachgedacht
• Kunststoff bringt klare ökologische Vorteile
• Chemisches und werkstoffliches Recycling können sich ergänzen

Interview mit Johannes Musseleck, Director Global Strategy bei der INEOS Styrolution

Die EU strebt eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe an. Sehen Sie ähnliche Bestrebungen auch anderswo?

Johannes Musseleck: Wir sehen schon, dass in anderen Teilen der Welt auch über die Kreislaufwirtschaft diskutiert wird. Zum Beispiel auch in den USA. Da findet die Diskussion in vielen Bundesstaaten statt und auch in einzelnen geographischen Regionen. Da gibt es vielfach auch schon entsprechende regulatorische Vorgaben. Auch in Asien sehen wir schon ähnliche Bestrebungen, eine Kreislaufwirtschaft einzurichten. Die EU hat den Vorteil, dass wir hier einheitliche Regelungen für einen großen Wirtschaftsraum mit über 500 Millionen Menschen haben. Was die EU beschließt, ist also viel weitreichender.

Und wie steht INEOS Styrolution zur Kreislaufwirtschaft?

Musseleck: Wir sind der festen Meinung, dass man sie entwickeln muss, und wir fühlen uns selber verpflichtet mitzuhelfen, das Problem des Kunststoffmülls in den Griff zu bekommen. Grundsätzlich müssen alle, die mit Kunststoffen zu tun haben, dazu ein Beitrag leisten. Denn Kunststoff ist ein wertvoller Werkstoff, der Vorteile gegenüber fast allen anderen Werkstoffen hat. Man kann damit sehr leichte Anwendungen, sehr dauerhafte Anwendungen, sehr sichere Anwendungen realisieren. Kunststoff macht Autos leichter und damit verbrauchsärmer. Er hält Lebensmittel frisch und beugt so dem Verderben vor. Das sind ganz klare ökologische Vorteile. Aber es ist für uns auch sonnenklar, dass Kunststoff nicht ins Meer gehört und auch nicht auf die Deponie, sondern dass er ein so wertvoller Werkstoff ist, dass man ihn idealerweise wiederverwerten sollte.

Wird der Einsatz von Rohöl in der Kunststoffherstellung sinken?

Musseleck: In der Kunststoffherstellung nutzen wir seit langem Rohöl als Rohstoff für unsere Produkte. Wenn wir die Kreislaufwirtschaft zu Ende denken, dann wird Kunststoffabfall der neue Rohstoff. Das ist für uns gut, weil es unser Ziel unterstützt, wertvolle Werkstoffe wiederzuverwenden. Aber das heißt auch, den Kunststoffabfall so zu bearbeiten, dass am Ende ein qualitativ einwandfreies Produkt herauskommt. Dieses Produkt muss dieselben mechanischen und hygienischen Eigenschaften haben, wie das aus Rohöl. Es muss so beschaffen sein, dass es auch unter regulatorischen Aspekten überall gut einsetzbar ist.

Wie lange wird es bis dahin dauern?

Musseleck: Qualitativ hochwertige Kunststoffe aus Kunststoffabfall herzustellen ist natürlich eine sehr große Entwicklungsaufgabe. Es wird je nach Ansatz Jahre dauern, bis wir hier zu Produkten kommen, die die gleichen Eigenschaften haben, wie die Produkte, die heute aus Rohöl hergestellt werden.
Woran arbeiten Sie bei INEOS Styrolution im Augenblick?
Musseleck: Es gibt beim chemischen Recycling unterschiedliche Ansätze, die jeweils sehr komplex sind. Wir befinden uns da derzeit in verschiedenen Entwicklungsstufen. Wir versuchen zum Beispiel Polystyrol über die so genannte Depolymerisation mithilfe von Wärme in Monomere zu überführen. Das wäre dann wieder der Ausgangsstoff für unsere Produktion. Wir machen also aus Polystyrol wieder Styrol. Das ist eine Methode, die es uns ermöglicht, am Ende wieder mit der Produktion von vorne anzufangen. Das ist ein sehr klarer Kreislauf. Es entstehen neue Produkte mit der gleichen Qualität, mit den gleichen Anforderungen, mit den gleichen Einsatzgebieten wie bisher aus Rohöl. Werkstoffliches Recycling ist sinnvoll, aber es gibt Anwendungen, wo man mit werkstofflich recyceltem Material nicht weiterkommt.

Aber der angelieferte Kunststoffabfall ist doch in der Regel nicht frei von störenden Fremdstoffen.

Musseleck: Die Fremdstoffe müssen wir entfernen. Aus Kunststoffabfall wieder hochwertiges Granulat zu machen, erfordert mehrstufige Prozesse. Beim chemischen Recycling kann man das ganze Repertoire der chemischen Prozesse anwenden. Unerwünschte Reststoffe lassen sich zum Beispiel mittels Destillation entfernen. Wir haben das auch schon auf Labormaßstab sehr gut umgesetzt und können dort tatsächlich ohne weiteres wieder hervorragendes Polystyrol herstellen. Von der Technik her geht es also. Jetzt müssen Prozesse entwickelt werden, damit das Ganze auch im Industriemaßstab funktioniert. Das ist die Aufgabe, die wir in den nächsten Jahren alle vor uns haben, um die geforderten Recyclingquoten erfüllen zu können.

Ist chemisches Recycling dem werkstofflichen überlegen?

Musseleck: Es gibt viele verschiedene Ansätze, wie man Produkte recyceln kann. Das werkstoffliche Recyling macht bei bestimmten Produktanwendungen durchaus Sinn. Chemisches und werkstoffliches Recycling sind zwei Methoden, die sich ergänzen, weil sie verschiedene Endanwendungen ermöglichen. Es ist nicht so, dass die eine der anderen grundsätzlich überlegen wäre.

Bei beiden Methoden erleichtert ein kluges Produktdesign die Aufgabe, oder?

Musseleck: Auf jeden Fall. Es ist immens wichtig, beispielsweise ein Auto und seine verschiedenen Teile so zu designen, dass man am Ende des Tages gut recycelbare Materialien bekommt. In der Frage des Produktdesigns arbeiten wir mit unseren Kunden eng zusammen. Wir können ihnen sagen, was man von der Materialseite her tun kann, um leichter zu recycelnde Produkte herzustellen.

Was kann INEOS Styrolution zur Verbesserung des Kunststoffimages tun?

Musseleck: Als Unternehmen arbeiten wir an Lösungen für die Wiederverwertung von Kunststoffabfällen. Wir zeigen also, dass man etwas machen kann. Aber die Verbesserung des schlechten Rufs von Kunststoffen ist eine Aufgabe der gesamten Lieferkette. Wir müssen uns hier gemeinsam aufstellen und gemeinsam eine Kommunikation an ganz verschiedene Adressaten erreichen. Die Botschaft ist, dass eine Kreislaufwirtschaft gut funktionieren kann, wenn alle mitmachen. Auf diese Weise können wir die Vorteile dieses effizienten Materials wieder ins Bewusstsein holen. Es gibt Studien, die sagen, dass sich der globale Energiebedarf verdoppeln würde, wenn man Kunststoffe durch andere Materialien ersetzen würde. Auch der CO2-Ausstoß läge deutlich höher. Kein Staat würde seine Klimaziele erreichen ohne Kunststoffe.

Quelle: VDMA