Leichte Bauteile in schweren Zeiten

Seit Monaten sind Motorsportler weltweit coronabedingt keinen Meter gefahren. Zumindest nicht auf einer
Rennstrecke. Das gilt auch für den Reutlinger Rennstall Four Motors und dessen prominentestes Teammitglied,
Musiker Smudo. Während die Fahrer zunächst bei der digitalen Nürburgring Langstrecken-Serie im SimRacing
antreten, gehen die technischen Entwicklungen des Teams ungebremst weiter. Schon heute zeichnet sich ab,
dass diese Entwicklungen auch die automobile Zukunft nachhaltig mitgestalten werden. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn das vor rund 20 Jahren gestartete Motorsportprojekt spielt eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung nachhaltiger Mobilität im Rennsport und darüber hinaus. Eine zentrale Säule stellt dabei der Einsatz von ultraleichten Bioverbundwerkstoffen dar, die mit finanzieller Förderung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über dessen Projektträger Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) durch das Anwendungszentrum für Holzfaserforschung HOFZET im Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut WKI, entwickelt werden.

Begleitet wird das Projekt von Porsche Motorsport, die für die Produktion der pflanzenbasierten
Bauteile verantwortlich zeichnen. Im Rahmen des auf drei Jahre angelegten Förderprojekts des
BMEL kommen dabei die Fasern der Leinpflanze zum Einsatz. Die Materialingenieure in Hannover
verwenden dieses Flachsgewebe, da es gut verfügbar, zugfest, besonders fein, homogen, flexibel
und drapierfähig ist. Das sorgt dafür, dass sich der Stoff den Bauteilformen gut anpasst. Ein Vorteil
im Übrigen, der besonders im Vergleich zu Kohlefasergeweben positiv ins Gewicht fällt. So entstehen
beim Flachsgewebe exakte Kanten, die für die Maßhaltigkeit und Qualität der Bauteile wichtig sind.
Das Projekt der Fraunhofer WKI-Forscher gliedert sich in drei Arbeitspakete: die technische, die
ökologische und die ökonomische Bewertung, die systematisch aufeinander aufbauen. Während des
Projekts werden Türen, Heckflügel und Fronthaube aus Pflanzenfasern an einen Porsche Cayman
GT 4 Clubsport von Four Motors montiert und über die Rennsaison evaluiert. So sorgen Smudo und
sein Team dafür, dass die biobasierten Werkstoffe nicht nur im Labor, sondern auch unter den
Hochleistungs- und Extrembedingungen des Rennsports auf ihre Serientauglichkeit getestet werden.
Durch die Zusammenarbeit mit der Porsche AG kann die Entwicklung zudem unter den realen
Bedingungen eines Automobilherstellers erfolgen. Die mechanische Charakterisierung der
Biowerkstoffe und die Gegenüberstellung verschiedener Fertigungsverfahren dienen dazu, das
Potenzial einer möglichen Serienfertigung aufzuzeigen. Für die ökologische und ökonomische
Betrachtung werden zusätzliche Daten über die gesamte Lebenszeit eines Bauteils zur Erstellung
einer Lebenszyklusanalyse (LCA) ermittelt.

Besondere Relevanz bei der Bewertung des Projekts hat zwangsläufig die Frage, ob Bauteile aus
Pflanzenfasern im Wettbewerb mit gängigen Verbundwerkstoffen bestehen können, allen voran den
im Automobilbau und insbesondere im Rennsport fest etablierten Kohlefaserverbundwerkstoffen,
besser bekannt als Carbon. Für Forscher René Schaldach, beim Fraunhofer WKI operativ für das
Projekt verantwortlich, sprechen einige grundlegende Aspekte bereits vor Abschluss des Vorhabens
für eine positive Entwicklung und stärkere Verbreitung der Pflanzenbauteile: „Die von uns
entwickelten biogenen Verbundwerkstoffe erfüllen einige Ansprüche, die unabhängig von den
technologischen Aspekten derzeit immer größere Bedeutung erlangen. So sind die Rohstoffkosten
vergleichsweise günstig und der produktionsbedingt geringere Energieverbrauch sorgt für einen sehr
kleinen CO2-Fußabdruck. Auch die Tatsache, dass die Bauteile nach ihrem Gebrauch nahezu CO2-
neutral und rückstandsfrei thermisch verwertet werden können, trägt ganz sicher dazu bei, dass diese
Werkstoffe verstärkt Eingang in die Serienproduktion finden werden. Von ihren reinen
Materialeigenschaften her betrachtet spricht da jedenfalls nichts dagegen“, so Schaldach.

Die Frage, ob die Bauteile auch im praktischen Einsatz überzeugen können, beantwortet Thomas
von Löwis of Menar, Teamchef von Four Motors, mit einem klaren „Ja“ und ergänzt: „Wir setzen
Bioverbundwerkstoffe bereits seit 2006 in unseren Fahrzeugen ein. Die jetzt verfügbare neueste
Generation ist in Bezug auf Gewicht, Formgüte und Stabilität auf einem Niveau, das wir vor einigen
Jahren so zwar erhofft, aber noch nicht als möglich erachtet haben. Kein Wunder, dass derzeit
mehrere andere Teams und Fahrzeughersteller in die Thematik einsteigen. Für uns ist das eine
großartige Bestätigung. Unser langjähriges Engagement für mehr Nachhaltigkeit im Motorsport und
der Autoindustrie trägt erfolgreich Früchte.“ Wie das in der Praxis aussieht, demonstrierte Porsche
im vergangenen Jahr. Bestärkt durch die Ergebnisse des aktuellen Förderprojekts und die
problemlosen Renneinsätze durch Four Motors brachte die Porsche AG Anfang 2019 erstmals ein in
Serie produziertes Rennfahrzeug mit Karosseriebauteilen aus Biofaser-Verbundwerkstoffen auf den
Markt. Für den 718 Cayman GT 4 Clubsport werden die Türen, Heckflügel, Frontlippe und Diffusor
aus einem Naturfasermix hergestellt. Ein wesentliches Zwischenziel der Förderung des
Bundeslandwirtschaftsministeriums ist damit bereits erreicht. Mittel- bis langfristig soll das
Förderprojekt dazu beizutragen, dass Bio-Karosserieteile auch in der industriellen
Großserienproduktion von Alltagsfahrzeugen im Sinne der Bioökonomie verstärkt zum Einsatz
kommen.