Im Dialog mit Gerald Ulrich, Mitglied des Bundestages, Stellvertretender Landesvorsitzender der FDP-Thüringen und Vorsitzender des Liberalen Mittelstands Thüringen. Ein Interview des GKV – Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e.V. aus der Reihe „Bericht aus Berlin“ über den Parlamentsbetrieb, EU-Hilfspakete und die EU-Kunststoff-Steuer.

GKV: Herr Ullrich, seit 2017 gehören Sie dem Deutschen Bundestag an. Wie erleben Sie als mittelständischer Unternehmer den Parlamentsbetrieb?

Es gibt schon einige Unterschiede zur Wirtschaft. In einem mittelständischen Unternehmen können Entscheidungen viel schneller getroffen werden. Hier gibt es meist einen Verantwortlichen, der eine Entscheidung fällt und dafür auch die Verantwortung übernimmt.

In der Politik entstehen Entscheidungen im demokratischen Prozess, d.h. sehr, sehr viele dürfen und müssen mitreden. Das geht bei den parteiinternen Gremien los, dann über andere Parteien bis hin zur Möglichkeit der Interessenverbände, ihre Meinung einzubringen. Bis ein Kompromiss entsteht, dauert es oft sehr lange. Aber das sind die demokratischen Spielregeln, zu denen ich keine Alternative kenne. Als Unternehmer muss man sich an diesen Prozess erst gewöhnen und lernen, an welcher Stelle man die besten Einflussmöglichkeiten hat.

 

Ullrich Gerald, MdB - Interview zur Plastiksteuer

STECKBRIEF:
Gerald Ullrich, MdB

Geboren am 23. Dezember 1962 in Schmalkalden; evangelisch; verheiratet; zwei Kinder. 1979 10. Klasse POS (Realschule); 1979 bis 1982 Lehre als Elektroinstallateur; 1983 bis 1986 Studium an der Fachschule für Elektrotechnik und Keramik Hermsdorf, 1986 bis 1987 Tätigkeit als Ingenieur; 1987 bis 1989 18 Monate Grundwehrdienst in der NVA; 1989 bis 1990 Tätigkeit als Auftragsleiter im Investitionsbereich; 1990 bis 2017 Unternehmer (Familiengeführter Kunststoffverarbeitungsbetrieb); 2014 Eintritt in die FDP; 2016 Stellvertretender Landesvorsitzender der FDP-Thüringen; seit 2016 Vorsitzender des Liberalen Mittelstands Thüringen.

GKV: Man hat den Eindruck, dass mittelständische Unternehmen bei politischen Entscheidungen oft vergessen werden. Ist dieser Eindruck zutreffend?

Jein. Unternehmer sind im Bundestag insgesamt unterrepräsentiert, weil es wenige Unternehmer gibt, die es sich erlauben können, viel Zeit mit politischen Tätigkeiten zu verbringen. Trotzdem gibt es einige Unternehmer im Bundestag, wobei die FDP-Fraktion den höchsten prozentualen Unternehmeranteil besitzt. Schlimm ist, dass bei den Linken, Grünen und teilweise sogar in SPD und CDU/CSU die Unternehmer als Feindbild gesehen werden: Unternehmern könne man nicht trauen, sie seien nur auf Gewinnmaximierung auf dem Rücken von Umwelt und Beschäftigten aus.

Gegen dieses falsche Bild geht meine Fraktion vor. Daher wäre es übertrieben, zu sagen, der Mittelstand würde insgesamt vergessen. Meine ganze Partei und auch einige Kollegen der Unionsparteien setzen sich für die mittelständischen Unternehmen ein. So werden auch die Belange des Mittelstandes berücksichtigt – aber leider oft nicht so stark, wie es gemessen an der Wichtigkeit des Mittelstandes für Deutschland eigentlich notwendig wäre.

GKV: Sie gehören dem Bundestags-Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union an. Der Europäische Rat hat nach zähen Verhandlungen im Juli 2020 den langfristigen Haushalt für die Europäische Union für die Jahre 2021-2027 sowie ein umfangreiches Hilfspaket zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise beschlossen. Sind damit die Weichen in der EU richtig gestellt?

Leider nein. Die Bundesregierung und die anderen Regierungen haben sich bedauerlicherweise aus meiner Sicht geeinigt, das Geld für die falschen Dinge und zu den falschen Bedingungen auszugeben: Der Anteil der Landwirtschaftssubventionen und Strukturhilfen für Regionen sinkt ab 2021 nur leicht von 69,4 Prozent auf 62,9 Prozent des EU-Haushaltes.

Deswegen bleibt zu wenig Geld für die Aufgaben übrig, die die EU gemeinsam effizienter und wirkungsvoller durchführen kann als jeder Mitgliedsstaat alleine: Forschungsförderung, Erasmus-Austäusche, ein Solvenzinstrument für Unternehmen in der Corona-Krise, Digitalisierungsprojekte, die mit USA und China mithalten können, grenzüberschreitende Infrastruktur für Verkehr und Energie, Mobilisierung von Investitionen durch das Programm InvestEU, eine gemeinsame Außenpolitik gegenüber dem Rest der Welt, und nicht zuletzt den Schutz der EU-Außengrenzen.

Für mich ist außerdem klar: EU-Geld darf nur an Rechtsstaaten fließen. Nur so können wir Victor Orbán daran hindern, die Demokratie und den Rechtsstaat in Ungarn abzuschaffen. Bürger und Unternehmen brauchen unabhängige Gerichte. Doch leider ist das Ergebnis des EU-Gipfels in dieser Frage unklar formuliert. Und damit die europäischen Volkswirtschaften widerstandsfähiger gegen zukünftige Krisen werden, ist es außerdem nötig, dass die EU-Mitgliedstaaten endlich die von der EU-Kommission empfohlenen Reformen umsetzen. Das Geld aus dem europäischen Wiederaufbaufonds soll nun zu diesen Reformen motivieren. Das ist ein Fortschritt. Aber leider haben die Regierungschefs das Geld aus dem gewöhnlichen EU-Haushalt nicht an ähnlich starke Reformbedingungen geknüpft.

Shutterstock Deutscher Bundestag

GKV: Vor Ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag führten Sie ein Unternehmen in der Kunststoff verarbeitenden Industrie. Wie sehen Sie die aktuelle Debatte über Kunststoff und Umweltschutz?

Es sind unzweifelhaft umwelt- und klimapolitische Aufgaben zu lösen. Beim „Ocean Littering“ muss zum Beispiel politisch etwas unternommen werden. Das kann die Wirtschaft alleine nicht lösen. Die Frage ist: Wo investieren wir am sinnvollsten, um Ocean Littering zu verhindern?

Wenn 98 Prozent des Abfalls aus Asien und Afrika eingetragen werden, macht es dann Sinn, in Deutschland große Maßnahmen zu ergreifen? Ich halte es für sehr wichtig, dass in Regionen mit einem hohen Eintrag, Rücknahmesysteme etabliert werden. Das ist ein langer Weg, aber auch der beginnt mit einem ersten Schritt. Hier sollte die Europäische Union ihren Einfluss ausüben. Becher oder Besteck aus Kunststoff zu verbieten, halte ich für wilden Aktionismus, der zu gar nichts führen wird.

Wo schnell viel zu gewinnen wäre, ist beim Mikroplastik. Es ist nicht einzusehen, dass Mikroplastik in Kosmetika eingesetzt wird. Das braucht kein Mensch. Das Thema Kunststoffabfall wird in Deutschland wichtig bleiben. Hier sehe ich als große Herausforderung, dass noch immer zu viel Kunststoff verbrannt wird. Nur ein Viertel der Grüne-Punkt-Sammlung wird der werkstofflichen Verwertung zugeführt. Bei Produkten, bei denen es auf die Hygiene nicht ankommt, können wir noch eine Menge erreichen. Das muss in die Diskussion.

Die Kunststoffverarbeiter müssen weiter erforschen, wie sie ihre Produkte und Verpackungen noch recyclingfreundlicher gestalten können. Wir brauchen Geschäftsmodelle, die mit Recyclingware kostendeckende Preise erzielen und eine klare Kategorisierung der Recyclingrohmasse und deren Inhaltstoffe, die eine bessere Absetzbarkeit auf dem Markt zur Folge hätte. Eine pauschale Steuer auf eine Tonne Kunststoffmaterial aus Öl besitzt kaum Steuerungswirkung, weshalb ich sie ablehne.

Hier musste die Bundesregierung auf meine Nachfrage hin zugeben, dass sie noch nicht weiß, wie sie den Beschluss des Europäischen Rats zur Einführung der Plastiksteuer umsetzen soll. Ich werde mich konstruktiv beteiligen, damit es hier sinnvolle Lösungen für Umwelt und Industrie gibt.