Kunststoff muss neu gedacht und gemacht werden – das ist das Credo an der Johannes Kepler Universität in Linz. Hier werden ab Herbst 2023 Studiengänge rund um Kunststofftechnik angeboten. Kunststoffe spielen dort nicht nur eine Nebenrolle, sondern sie sind der Star der Show. Denn sie sind sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft ein Schlüsselfaktor.
Professor Georg Steinbichler erläutert im Interview, warum es Studiengänge speziell für Kunststofftechnik braucht, was sie auszeichnet und wie die Industrie bereits an der Ausbildung junger Kunststofftechnikerinnen und -techniker beteiligt ist.
Georg Steinbichler: Die Sicht auf die Welt verändert sich. Die Auswirkungen von ungehemmten Energie- und Ressourcenverbrauch bereiten längst nicht nur den Klimaaktivistinnen und -aktivisten Sorgen. Um diese Herausforderungen, weniger Ressourcen zu verbrauchen und nachhaltiger zu wirtschaften, zu bewältigen, müssen wir unser vorhandenes und noch zu generierendes neues Wissen intelligent einsetzen. Dies gilt auch für die Kunststofftechnik. Richtig eingesetzt, liefern Kunststoffe bereits heute einen erheblichen Beitrag für ökologische und ökonomische Lösungen. Kunststoffe sind aber auch als Schlüsselwerkstoff für Zukunftstechnologien wie zum Beispiel E-Mobilität und erneuerbare Energietechnologien zu sehen. Bedenklich ist aber, dass bei der Bewertung und Entwicklung neuer Produkte und Technologien Nachhaltigkeitsaspekte und CO2-Bilanzen zumeist nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wir brauchen transparente Mehrwegsysteme und auf Recycling optimierte Produktions- und Verwertungsketten. Für die Bewältigung dieser vielfältigen Herausforderungen wurden die bestehenden Studiengängen auf dem Gebiet der Kunststofftechnik an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz völlig neu konzipiert.
Was ist Inhalt der drei neuen Studiengänge? Wie sind sie aufgebaut?
Steinbichler: Ein Bachelor- und zwei Masterstudiengänge stehen in den Startlöchern und bieten zukünftigen Ingenieurinnen und Ingenieuren die Grundlagen für eine kritische Auseinandersetzung und die Entwicklung zukunftsweisender Lösungen für den nachhaltigen und umweltschonenden Einsatz von Kunststoffen sowie die Energie- und Klimakrise. Im Unterschied zu anderen universitären Studienprogrammen, die Spezialisierungen auf dem Gebiet der Kunststofftechnik zum Beispiel im Rahmen eines Maschinenbaustudiums anbieten, handelt es sich bei dem Ausbildungsprogramm an der JKU um ein durchgängiges Kunststofftechnik-Studium ab dem ersten Semester.
- Werkstoff- und Prozesstechnik (Praktische Kunststoffverarbeitung wie Spritzgießen und Extrudieren im Technikum)
- Design: Konstruieren und Simulieren von Kunststoff-Bauteilen
- Werkstoffprüfung: Mechanische, thermische und optische Charakterisierung von Kunststoffen
- Recycling-Technologien und Stoffkreisläufe: Nachhaltige Verwertung von Kunststoffabfällen
- Naturwissenschaften: Vertiefende Kenntnisse in Mathematik, Programmierung und Chemie – molekularer Aufbau von Kunststoffen und Synthese
- Maschinenbau & Mechatronik: Grundlagen in Leichtbau, Elektrotechnik und Mechanik
- Ökobilanzierung und gesellschaftliche Zusammenhänge
- Bachelorarbeit: Individuelle Spezialisierung je nach eigenem Interessensgebiet auch in Kooperation mit Firmenpartnern.
Worin unterscheiden sich die beiden Master-Studiengänge?
Steinbichler: Es werden dazu ab Herbst 2024 die beiden englischsprachigen Masterstudiengänge angeboten. Während die Studierenden im Masterprogramm Plastics Management & Sustainability zu Problemlösenden für gesellschaftliche Herausforderungen mit Hilfe (kunststoff)technischer Ansätze ausgebildet werden, liegt die Schwerpunktsetzung im Masterprogramm Polymer Engineering & Science auf einer Vertiefung technisch-wissenschaftlicher Aspekte für Industrie und Wissenschaft.
Steinbichler: Modernste didaktische und pädagogische Methoden zeichnen die neuen Studien aus. Problemlösungskompetenz in Verbindung mit hoher Selbstständigkeit werden in der Auseinandersetzung mit konkreten Inhalten trainiert. Neben Fachwissen auf dem Gebiet der Kunststofftechnik stehen auch “Future Skills” am Lehrplan. Es werden Kompetenzen vermittelt, um erfolgreich zum Wohle von Umwelt, Menschheit, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik agieren und interagieren zu können.
Welches Feedback erhalten Sie von der Industrie?
Steinbichler: Schwerpunktmäßig getragen werden die erwähnten Studienprogramme sowie ein Doktorratsstudium auf dem Gebiet der Kunststofftechnik von den vier Kunststofftechnik-Instituten. Durch großzügige Unterstützung und Kooperationen mit 25 Unternehmen aus dem deutschsprachigen Wirtschaftsraum konnte im Jahre 2021 auch der Aufbau einer Lehr-, Lern- und Forschungsfabrik (LIT Factory des Linz Institute of Technology) auf dem Gebiet der Kunststofftechnik erfolgreich abgeschlossen werden. Die Forschungsschwerpunkte liegen auf der Entwicklung neuer Prozesstechnologien auch für die Fertigung recyclierbarer Leichtbaukomponenten nach Vorbildern in der Natur, dem Re- und Up-Cycling von Kunststoffen und das Nutzen stiften durch digitale Transformation entlang der Wertschöpfungskette zum Wohle von Mensch, Umwelt und Wirtschaft. Damit wird der visionäre und gesamtheitliche Technologieansatz mit dem Schwerpunkt Responsible Technologie verfolgt. Auch zahlreiche Unternehmenspartner unterstützen tatkräftig die Neuausrichtung der Kunststofftechnik-Studiengänge.
Was denken Sie, welchen Einfluss die Studiengänge auf die Kunststoffindustrie der Zukunft haben werden?
Steinbichler: Mit Einführung der neuen Studiengänge soll die Begeisterung und die Motivation zur Erarbeitung nachhaltiger Lösungen für die Gesellschaft bei jungen Leuten geweckt werden. Es geht in Europa und für unsere Volkswirtschaften um die Verteidigung der Technologieführerschaft auch bei der Erarbeitung und Einführung nachhaltiger Lösungen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft auf dem Gebiet der Kunststofftechnik. Die neuen Studiengänge decken die Anforderungen und Job-Profile zukünftiger Berufsfelder des 21. Jahrhunderts ab. Die erworbenen Kompetenzen sind in vielfältigen Anwendungsbereichen einsetzbar und werden bereits heute stark nachgefragt.
Weitere Informationen zu den neugedachten Studienrichtungen der Kunststofftechnik finden Sie hier: