Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verbänden diskutierten beim VinylPlus® Nachhaltigkeitsforum Deutschland aktuelle Strategien und neueste Forschungsergebnisse zu Kreislaufwirtschaft und Kohlenstoffneutralität.
BONN. Im Fokus des 4. VinylPlus® Nachhaltigkeitsforums Deutschland, im Universitätsclub in Bonn,
standen die umfassende Transformation in Richtung Kreislaufwirtschaft und Kohlenstoffneutralität und
die damit verbundenen Herausforderungen für den gesamten Industriezweig, der chemischen Industrie,
der Kunststoffbranche und der PVC-Wertschöpfungskette.
Wie ambitioniert diese Aufgabe insbesondere unter den aktuellen politischen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen ist, machte in seinem Grußwort Dr. Karl-Martin Schellerer, Chairman von VinylPlus,
Brüssel, deutlich: „Wachsende Belastungen sorgen für eine große Unsicherheit in unserer Branche. Dabei
setzen uns nicht nur die hohen Energiepreise, sondern auch die Regulierungsflut zu. Aber das ist kein
Grund für uns, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir nehmen weiterhin eine aktive Rolle ein, wenn es um
Themen der Nachhaltigkeit geht.“
Einen Überblick über die Erfolge und Fortschritte der europäischen PVC-Branche im Rahmen des
Nachhaltigkeitsprogramms VinylPlus® 2030 gab VinylPlus Deutschland-Geschäftsführer Thomas
Hülsmann. Sein Fazit: „Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft und Kohlenstoffneutralität haben wir bereits
wichtige Fortschritte gemacht. Um Lücken zu schließen, gewinnt auch das chemische Recycling an
Bedeutung. Wir sind überzeugt, dass jedes Verfahren genutzt werden muss, um Kreisläufe zu schließen
und den CO2-Fußabdruck weiter zu reduzieren.“
Ansätze aus Forschung und Praxis
Wie weit die Forschung zu den verschiedenen Verfahren des physikalischen und chemischen Recyclings
mittlerweile fortgeschritten ist, berichtete Prof. Dr.-Ing. Matthias Franke (Fraunhofer UMSICHT. Er betonte,
dass Verfahrenskombinationen, zum Beispiel aus lösemittelbasierten Prozessen und Pyrolyse, in der Lage
seien, hochwertige Rezyklate aus Mischkunststoffabfällen zu erzeugen. Gleichzeitig könne der
Energieeinsatz dadurch optimiert werden, so dass Ökobilanz und Wirtschaftlichkeit verbessert würden.
Die technische Machbarkeit solcher Recycling-Kaskaden sei gezeigt. Das etablierte mechanische
Recycling sei für sortenreine Kunststoffanfälle aber weiterhin das Mittel der Wahl.
Mögliche Transformationsansätze für Kunststoffe im Rahmen der vom Bundesumweltministerium initiierten Entwicklung einer Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) stellte in seinem Vortrag Prof. Dr. Henning Wilts (Wuppertal Institut) vor. Das Wuppertal Institut koordiniert mit anderen Akteuren die wissenschaftliche Unterstützung und Begleitung des Prozesses. Prof. Wilts warf u.a. die Frage auf, ob für die Steigerung der Zirkularität eine Begrenzung der Vielfalt der eingesetzten Materialkombinationen, inklusive der eingesetzten Additive, bei Kunststoffen notwendig ist. Im Anschluss erläuterte Dr. Jörg Rothermel (VCI) die Wasserstoffstrategie der chemischen Industrie. Wasserstoff, so Dr. Rothermel, werde eine, wenn nicht die zentrale Rolle bei der Transformation der Branche spielen, insbesondere bei der Defossilisierung des Rohstoffbedarfs. Schließlich legte Dr. Vincent Stone (VinylPlus) konkrete Erfahrungen mit dem mechanischen Recycling von PVC-Medizinprodukten im Rahmen des VinylPlus Med-Projekts dar und skizzierte dabei u.a. Richtlinien für ein optimales Produktdesign, wie beispielsweise die Verwendung von PVC als Monomaterial.
Zwischen Dringlichkeit und unzureichenden Rahmenbedingungen
Inhaltlich einen großen Bogen spann im Anschluss die Panel-Diskussion. Neben den Referenten nahm
auch Christian Fischer (Schüco Polymer Technologies) teil, der über den aktuellen Stand beim Kunststoff-
Fensterrecycling berichtete und dabei die Auswirkungen der aktuellen Baukrise beleuchtete. Wichtige
Impulse von außen boten die Finanzexpertin Claudia Rankers (Rankers Family Office), die die Vorteile von
konkreten Zielen zur Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft für die Finanzierung von Unternehmen
erläuterte, sowie Dr. Meriem Tazir (e-hoch-3 eco impact experts), die Firmen bei ihren
Nachhaltigkeitsstrategien berät und aktuell ein Fortbildungskonzept für Nachhaltigkeitsbeauftragte
entwickelt. Bei der intensiven Diskussion wurde nicht zuletzt die aktuell bestehende Diskrepanz zwischen
dem Anspruch einer schnellen Umsetzung der Transformation und unzureichenden, zum Teil
investitionshemmenden, Rahmenbedingungen deutlich, etwa beim Massenbilanzverfahren oder bei
aufwendigen Genehmigungsverfahren von Pilotanlagen.
„Die Transformation der chemischen und Kunststoffindustrie stellt uns vor gigantische
Herausforderungen. In unserer Branche sind uns die Ziele bewusst und wir haben den Weg dahin vor
Augen“, fasste Dr. Oliver Mieden, Vorsitzender von VinylPlus Deutschland die Veranstaltung zusammen.
Ein Konfliktfeld auf diesem Weg sei nicht zuletzt die Frage nach dem Nutzen, der politischen Akzeptanz
und dem regulatorischen Rahmen des chemischen Recyclings. „Hier hat PlasticsEurope Deutschland
Ende August, mit dem VCI und dem BDE ein gemeinsames Leitbild zu einer Kreislaufwirtschaft mit
Kunststoffen vorgelegt, welches bei Priorisierung des mechanischen Recyclings, ein deutliches
Bekenntnis zum chemischen Recycling enthält. Dies entspricht auch der Position, die wir bei VinylPlus von
jeher vertreten und deshalb freuen wir uns, dass die großen Branchenverbände der Hersteller und
Entsorger hier gemeinsam vorangehen.“